Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

 

Unerhört! Niegesehen! Unfassbar!

Ostern 2013. Johannes 20,11-18

 

Liebe Gemeinde,

für uns ist an Ostern alles klar, alles logisch, alles schön – Jesus lebt, mit ihm auch ich! Jesus hat den Tod überstanden. Die Nacht, die an Karfreitag begann, ist zu Ende. Licht strahlt auf, Zukunft beginnt, Hoffnung ist da: Der Herr ist auferstanden! - Ja, er ist wahrhaftig auferstanden!

Für den einen Bekenntnis, für die andere Stoßseufzer, für den dritten Gewissheit, für die vierte Zuversicht – den Menschen, die seinerzeit Ostern miterlebt haben ging es ganz anders. Und es ist richtig und gut, wenn wir Heutigen uns das zuallererst vor Augen stellen. Damit wir Ostern nicht mit etwas verwechseln, das Ostern nicht ist.

Lesen wir die Texte aus den Evangelien mit einem kritischen Blick, dann stellen wir zuerst fest: Bei Markus von Osterfreude keine Spur. Die Frauen entsetzen sich, verlassen fluchtartig in Angst und Zittern den Ort, wo man Jesus begraben hat. Bei Lukas begegnet der Auferstandene bei Emmaus zwei Jüngern, geht eine Weile mit ihnen und sie erkennen ihn nicht. Wie geht das zusammen? Verändert die Auferstehung Jesus bis ins Unkenntliche? Auf jeden Fall muss Ostern etwas anderes geschehen sein als die Wiederbelebung eines Leichnams.

Aber die Krönung ist diese Geschichte, die wir eben bei Johannes gehört haben. Da stimmt doch praktisch nichts, ein Missverständnis jagt das nächste. Petrus und Johannes, von der entsetzen Maria gerufen, die ihnen sagte, dass der Stein vor dem Grab verschwunden sei, also Petrus und Johannes sind nach einem absurden Wettlauf zum Grab bereits wieder weg, sie haben hineingeschaut, nicht wirklich etwas verstanden und sind wieder nach Hause gegangen. Wie geht das denn, fragt man sich.

Maria aber blieb weinend zurück und sieht mit einem Mal da zwei Engel. Woher die plötzlich kommen, das sagt niemand, aber gut, es sind halt Engel. Die fragen Maria freundlich und die gibt ihnen Auskunft – und dann dreht sie sich um, ohne auf eine Antwort zu warten. Da steht dann Jesus. Aber es ist wie bei den Emmausjüngern – Maria erkennt ihn nicht. Wieso nicht? Sie hält ihn gar für den Gärtner, also vermutlich war auch seine Stimme verändert. Aber was ist dann eigentlich Auferstehung, wenn ich meine Gestalt, mein Aussehen, meine Stimme so verändere, dass mich die mir vertrauten Menschen nicht mehr wiedererkennen? Manch eine, manch einer träumt ja davon, später einmal im Himmel seine Lieben wiederzusehen. Müssen wir diese Hoffnung schon jetzt aufgeben, wenn nicht einmal Jesus wiederzuerkennen ist?

Vielleicht doch nicht, denn als der Auferstandene sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt Maria ihn. Woran eigentlich? Das wird nicht klar und die Verwirrung steigert sich noch durch die Tatsache, dass sich Maria in dem Moment wieder umdreht, also eigentlich wieder ins Grab schaut und Jesus den Rücken zudreht. Aber gut, die Kommunikation ist sowieso gestört. Maria spricht ihn - mit dem Rücke zu Jesus stehend - vertraut mit Meister an und er weist sie ab, rühr mich bloß nicht an! Wollte sie doch gar nicht, steht zumindest nicht da. Und dann diese merkwürdige Ansage Jesu: ich bin noch nicht aufgefahren zu Gott, deshalb darfst du mich jetzt nicht anfassen. Wie sie das dann später tun soll, bleibt ein Rätsel. Und die größte Überraschung kommt zum Schluss: Maria geht nach dem ganzen Wirrwarr seelenruhig zu den Jüngern und sagt: Ich habe den Herrn gesehen. Diese merkwürdige Begebenheit hat dann doch Zuversicht und Trost ausgelöst. Doch wie?

Liebe Gemeinde,
wenn sich bei Ihnen jetzt merkwürdige Gefühle eingestellt haben, Verwirrung, Skepsis, vielleicht auch ein wenig Ärger über den Pfarrer, der nichts von österlicher Freude predigt, sondern nur verunsichert und Zweifel sät, dann sage ich: Gut so!

Denn sonst, so der Text, haben wir keine Chance zu begreifen, oder besser ergriffen zu werden, glauben zu können.Denn offenbar geschieht bei Maria in diesem merkwürdigen Hin- und Her denn dann doch etwas. Vielleicht ist die Verunsicherung, das mehrmalige Hinschauen, Umdrehen, Fragen, Missverstehen eine Voraussetzung dafür, dass wir begreifen was an Ostern geschieht, nämlich ergriffen zu werden von der Hoffnung auf die Auferstehung. Und das ist nicht nur hier in dieser Ostergeschichte so, auch bei Markus und Lukas gelingt das Erkennen erst, nachdem alles auf den Kopf gestellt wurde.

Also: Wir bekommen Ostern nicht in den Griff. Es lässt nichts klären, beweisen, festmachen. Auch nach 2000 Jahren Kirchengeschichte. Es geht nur anders herum. Ich werde ergriffen, ich höre und sehe etwas, was ich nie zuvor gehört oder gesehen habe. Nur in dieser Fremdartigkeit, so die Ostergeschichten der Bibel, haben wir eine Chance, dass die Osterbotschaft uns, mich erreicht.
Drei Dinge sind es, die mir bei Maria aufgefallen sind:
Ostern ist unerhört, niegesehen, unfassbar.

Unerhört!
Maria ist die Zeugin und die Botschafterin der Auferstehung. Auch in den anderen Ostererzählungen sind es Frauen, die zuerst begreifen, sehen und hören. Das ist unerhört. Frauen hatten nichts zu sagen. Vor Gericht zählte ihre Aussage nichts. Die Auferstehung, das ist das Erste, was wir hören, stellt alles auf den Kopf. Nichts ist mehr so wie vorher. Suchen wir nach Anklängen in unserer Zeit, fragen wir nach Menschen, deren Wort in unserer Gesellschaft nicht zählt, die nichts rechtskräftig sind. Aus ihrem Munde würde heute die Osterbotschaft klingen. Also: Aus dem Mund von Kindern. Oder geistig Behinderten. Oder Aslybewerberinnen. Wer würde ihnen glauben...? Das Erlösende ist aber für die, deren Wort nichts zählt, dass sie von Gott auf die gleiche Stufe wie alle anderen gehoben werden. Den Unmündigen, Zurückgeblieben, Rechtlosen, Ausgegrenzten, den Heimatlosen und Verunsicherten, Kranken und Elenden, denen gilt die Osterbotschaft. Zuallererst. Ärgerlich war und ist das bis heute. Ja. Die Geschichte von Kreuz und Auferstehung ist ärgerlich, das wusste schon der Apostel Paulus, wir haben es in der Lesung gehört.

Niegesehen!
Maria sieht etwas und sieht doch nichts. Sie sieht den Auferstandenen und erkennt ihn nicht, hält ihn für den Gärtner. Erst als er die anspricht und sie sich umgedreht hat, da »sieht« sie ihn, erkennt sie ihn. Mit dem Rücken zu Jesus stehend »sieht« sie ihn. Ich verstehe das so: Äußerlich gibt es vielleicht was zu sehen, ein leeres Grab, Begegnungen mit einen Menschen, der aber nicht aussieht wie Jesus. Aber mit einem Mal scheint etwas vor meinem inneren Auge auf. Maria hört Jesus reden und ihr öffnen sich die Augen. »Ich habe den Herrn gesehen!« Gut, aber wo und wie? Nicht in der Welt der Fakten, sondern, um es mit einem abgegriffenen Wort zu sagen, mit den Augen des Herzens. Auch das ist ärgerlich. Es gibt nichts zu beweisen, zu überprüfen, anzufassen. Und damit bin ich schon beim dritten.

Unfassbar!
Un-fass-bar, unbe-greif-bar ist die Osterbotschaft. Sie vollzieht sich nicht in der Welt der Fakten, der Berechnungen, der überprüfbaren Wahrnehmung. Und somit ist für viele unglaublich, un-glaub-lich eben. Auch ärgerlich, okay. Maria will den Auferstandenen in die Arme nehmen, so wie früher, und er wehrt das ab. Mit dem Hinweis, dass er noch nicht zum Vater aufgestiegen ist. Aber was heißt denn das? Wenn er so gegangen ist, ist auch nichts mehr mit Anfassen, mit In-den -Arm-nehmen, mit Be-greif-en. Lächerlich klingt das in der Welt von Fakten und Zahlen. Aber sie ergreift uns - Jesus ist auferstanden! Ja, er ist wahrhaftig auferstanden!

Das ist: Unerhört. Niegesehen. Unfassbar. Die einen spotten und die anderen lachen. Befreit, erlöst, aufatmend. Ja, Jesus ist auferstanden. Nicht zu begreifen, aber er greift nach uns. Unerhört, aber er ist doch zu vernehmen. Niegesehen und doch strahlt er klar vor dem inneren Auge auf. Ostern, Auferstehung. Es gibt Hoffnung. Licht. Zukunft. Zuversicht. Nicht zu beweisen. Unglaublich, aber zu glauben. Soll die Welt spotten, wir lachen. Befreit.

Amen.